Mit Gott ins Guinness-Buch

Ich saß an meinem Esstisch im Wohnzimmer. Wie immer lagen viele kleine Zettel auf dem mit der knallroten Lacktischdecke überzogenen Tisch. Ich schob den Papierberg zur Seite, um mir etwas Platz zu schaffen. Im Hintergrund lief das Fernsehen. Der Tagesschausprecher berichtete über die neuesten Nachrichten. Ich nahm einen Kuli zur Hand, zog ein noch unbeschriebenes Blatt aus einem Stapel und legte los:

„Es war einmal ein junges Mädchen, das hieß Julietta Becker. Sie lebte in einem kleinen Dorf tief unten im Schwarzwald und träumte von der großen weiten Welt und vom großen Glück.“

Plötzlich lag mir ein Lied auf den Lippen:

Dreams come true sometimes, when you don´t believe it.
Like a bird they fly away, and leave you behind.
Dreams and fantasies always surround you … are all around you.
Dreams and fantasies come true, sometimes.

Auf meinem Sideboard lag das kleine schwarze Diktiergerät meines Vaters. Ich sprang auf und nahm es zur Hand. Schnell sang ich das Lied auf Band. Doch das war erst der Anfang. Ein Lied nach dem anderen sprudelte aus mir heraus. So schnell konnte ich gar nicht schreiben, wie die Ideen flossen.

I Want to See the World – Ich möchte die Welt sehen. – Das Mädchen bekommt ein Zauberpulver geschenkt und die Muffins in ihrer Backstube erwachen zum Leben. Gemeinsam mit ihnen singt sie: We Are the Muffins – Wir sind die Muffins. Der dritte Song war geboren. Gleich anschließend
sang Julie mit Mr. Donut: I Wanna Be a Muffin – Ich möchte sein wie ein Muffin. Auch dieses Lied war schnell im kleinen schwarzen „Kasten“. Die Liedtexte schrieb ich auf Englisch, die Geschichte auf Deutsch.

Als ich so fröhlich vor mich hinkritzelte, bemerkte ich, dass ich kein Papier mehr hatte. Ich wühlte in meinem Papierberg – vergeblich. Als ich unter meinem Schreibtisch in den Papierkorb schaute, entdeckte ich eine große Bäckertüte. Nun war das Titellied Miss Muffin® an der Reihe.

Einen Tag nach dem glorreichen Musical-Liedschreib-Abend setzte ich mich an meinen PC und tippte alles ab. Dabei wurde mir erst so richtig bewusst, dass das ja absolut der Wahnsinn war: 23 Lieder mit Text und Melodie in vier Stunden. „Das glaubt mir niemand“, sagte ich meiner damaligen Kollegin Andrea Ebinger. „Doch, Ihnen glaubt man das schon, Fräulein Renz.“
Frau Ebinger war die netteste, lustigste und hilfsbereiteste Kollegin aller Zeiten.

Ich surfte im Internet und erkundigte mich, wie man sich im Guinness Buch bewirbt. Aus Jux und Tollerei habe ich dann dort einfach mal hingeschrieben. Im Stillen habe ich noch gebetet: „Jesus, wenn du wirklich viele Menschen mit dem Miss-Muffin-Projekt segnen willst, dann brauch ich einen Eintrag ins Guinness-Buch!“ Außerdem musste ich drei Zeugen angeben und die hatte ich auch. Eine Freundin hatte ich während der „göttlichen Eingebung“ in dieser Nacht angerufen und ihr ständig neue Songs vorgesungen. Die zweite Zeugin war die Organistin unserer Gemeinde, die später versuchte, alle Lieder in Notenform zu packen. Und last but not least war Josef Grgic, unser früherer Betonmischerfahrer, mit seiner Frau Maria ganz „zufällig“ vorbeigekommen, als ich meine Eingebung hatte. Es stellte sich heraus, dass er ein Tonstudio besaß. Er nahm später alle Lieder auf, so dass ich meinen kleinen Komponistenkopf von den vielen gespeicherten Lieddaten entlasten konnte. Das war mir eine große Erleichterung!

Als ich eines Abends nach Hause kam, lag ein großer weißer Briefumschlag in meinem Briefkasten. Der Poststempel war aus Hamburg. „Bestimmt wieder irgendeine Werbesendung“, dachte ich und ging die Treppe hoch bis zum dritten Stock. Schon unterwegs öffnete ich den Umschlag. Da stand: „Sehr geehrte Rekordhalterin, sehr geehrter Rekordhalter, herzlichen Glückwunsch, wir haben Ihren Rekord anerkannt und schicken Ihnen hier die Urkunde, die Ihren Rekord bezeugt. Wir haben Sie verbindlich für das deutsche Guinness Buch der Rekorde 2001 eingetragen!“

Und auf der Urkunde war zu lesen:
„Jutta Renz aus Sindelfingen (D) schrieb vom 30. November bis zum 1. Dezember 1998 ein (noch nicht veröffentlichtes) Musical mit 23 Liedern.“
Mich hat beinahe der Schlag getroffen. Verrückt! Ich musste mich erst einmal hinsetzen.