… das erste deutsche Muffinbackbuch

Als ich nach der Abschlussfeier vom College im Flugzeug saß, hatte ich einen Traum: Deutschland braucht Muffins! Das war 1987. Doch es sollte noch einige Jahre dauern, bis mein Traum Wirklichkeit wurde. In meinem Heimatdorf wurde wie jedes Jahr ein Weihnachtsmarkt veranstaltet. Und ich war dabei. Mit einer Freundin hatte ich die Großküche im Gemeindehaus gemietet und Muffins gebacken. Eine Menge Muffins, um nicht zu sagen: Berge von Muffins. Ich hatte fünf Sorten ausgesucht: Apfel-Zimt – Muffins, Bananen-Haferflocken – Muffins, Rübli – Muffins, Orangen-Dattel-Nuss – Muffins und Schokoladen – Muffins. Das Ganze war also in eine riesige Backaktion ausgeartet. Zunächst hatten wir an die 500 Muffins gebacken. Die sollten für die kommenden beiden Tage reichen, aber weit gefehlt! Alle Sorten wurden fein säuberlich auf dem Tisch unseres Standes platziert. „Was sind denn das für nette kleine Küchla?“, wurde ich gefragt. Und so erklärte ich immer wieder: „Das sind Muffins. Die habe ich in Kanada kennen und lieben gelernt!“ Als ich am ersten Abend den Stand schloss und in meinen Vorratsbehältern nachschaute, bemerkte ich, dass diese bis auf ein paar Krümel alle leer waren. Gott sei Dank hatte ich noch einige Lebensmittel auf Vorrat. In dieser Nacht musste ich also nochmals Muffins backen. Am zweiten Tag war der Ansturm genauso groß. So wurden an dem Wochenende gut tausend Muffins vertilgt. Ich war begeistert! Nun musste ich den Kochbuchverlagen klar machen, dass die Deutschen Muffins genauso liebten wie ich. Ich gestaltete ein handgeschriebenes Umfrageblatt mit drei Fragen.

Es lag klar auf der Hand: Die Leute liebten Muffins, wollten diese aber lieber selber backen als sie derzeit beim Bäcker zu kaufen. Jetzt hatte ich es schriftlich. In meiner Euphorie rief ich die Chefredakteurin des Gräfe und Unzer Verlags in München an. „Hallo! Ich bin Miss Muffin und wollte Sie fragen, ob Sie ein Muffinbuch verlegen möchten?“ Die Antwort kam so schnell wie entschieden: „Nein, keiner kennt Muffins. Das Thema ist viel zu spezifisch.“

1992 nahm ich erneut einen Anlauf. Diesmal versuchte ich mein Glück beim renommierten Dr. Oetker Verlag. Diesmal kam die Absage klar und deutlich: „Vielleicht werden sich Menschen in Großstädten irgendwann für das Gebäck interessieren, aber ansonsten ist das Thema Muffins nichts für Deutschland!“ Mit diesen Worten der Ernüchterung war mein Muffintraum nun gestorben – zumindest vorerst

Drei Jahre später, 1995: Eines schönen Tages kam eine unserer Sekretärinnen mit einer Muffinbackform unterm Arm ins Büro. Ich erkundigte mich, wo sie dieses Backblech erworben hatte. „Die gibt’s gerade im Angebot“, antwortete sie. Sofort griff ich sofort zum Telefonhörer und rief den lokalen Haushaltswarenhändler an: „Sagen Sie, seit wann gibt es denn diese Muffinbackbleche im Ländle?“ „Oh, die sind schon seit einem Jahr auf dem Markt, aber keiner weiß, wie man diese ‚Muffies’ backt“, erwiderte der Chef. Diese Aussage hat bei mir eingeschlagen wie eine Bombe. Ich wusste, jetzt war die Zeit gekommen, mein erstes Muffinbuch zu schreiben. Da ich ein paar Jahre zuvor vergeblich versucht hatte, einen Verlag zu finden, wurde mir eines klar – ich musste mein Buch selbst herausbringen, und zwar im RENZ-Selbstverlag. Dazu brauchte ich einen Gewerbeschein. Am 15. Oktober 1995 ging ich also zum Sindelfinger Rathaus. Auf dem Weg dorthin überlegte ich mir noch schnell, wie ich meine Firma eigentlich nennen wollte. „Jutta’s Muffins Company“ – ja, das klingt doch ganz vernünftig, dachte ich bei mir, denn der Titel meines Erstlingswerkes sollte „Jutta’s Muffins“ heißen. Die Dame beim Amt für öffentliche Ordnung schmunzelte, als sie mir dabei half, die Papiere ordnungsgemäß auszufüllen.

Zu Hause angekommen, setzte ich mich sofort an den Computer und begann zu schreiben. Im College in Kanada hatte es sich herumgesprochen, dass ich Muffins über alles liebte, so hatte ich ein ganzes Sammelsurium von Muffinrezepten zur Hand. Ich übersetze insgesamt 100 Originalrezepte aus Kanada und den USA. Jetzt galt es, diese dem deutschenGeschmack anzupassen. Im Durchschnitt war bei fast allen Rezepten eine Tasse Zucker – das entspricht 180 g – angegeben. Wahnsinn! Den musste ich natürlich drastisch reduzieren, weil wir Deutsche es ja nicht so süß mögen wie die Nordamerikaner. Außerdem recherchierte ich und fand heraus, woher das Gebäck eigentlich kam: Muffins stammen ursprünglich aus England. Der Name „Muffin“ tauchte erstmals 1885 in einem britischen Magazin, dem London Labour, auf. Diese Art von Muffins waren jedoch ein süßes Hefeteiggebäck – anders, als wir sie heute kennen. Bereits im letzten Jahrhundert gab es den muffin man, eine Art Marktschreier, der früh morgens und am Nachmittag vom örtlichen Bäcker Muffins kaufte. Mit seiner Glocke pries er das frisch duftende Gebäck dem typisch teeliebhabenden Briten an. Markant war, dass er sein Verkaufstablett auf dem Haupte trug.

Bereits im viktorianischen England waren Muffins eines der beliebtesten nationalen Gebäcke. So tippte ich also fleißig vor mich hin. Innerhalb von vier Wochen war das Buch fertig. Das ganze Projekt artete zu einem Familienereignis aus. Alle wurden mit eingespannt. Dadurch, dass ich oft auch heute noch auf Englisch denke, bin ich mir bei bestimmten Worten in der Schreibweise nicht sicher. Auch meiner Oma erzählte ich von meinem Buchprojekt. „Wer zahlt denn das Ganze?“, erkundigte sie sich interessiert. „Keine Ahnung!“

Ich hatte vor, 2000 Bücher drucken zu lassen. Die Gesamtkosten beliefen sich damals mit der Grafik auf 20000 Mark. Meine Oma hat mir angeboten, die Hälfte für den Buchdruck zu übernehmen. Sechs Jahre lang lebte unsere Omi bei uns, und als ich ihr ab und zu von den kleinen Küchlein erzählte, dann dachte sie gerne noch daran zurück, wie sie mir damals aus den Startlöchern geholfen hat. Vor gut 60 Jahren hat sie übrigens auch meinem Vater in die Selbständigkeit verholfen und für ihn gebürgt. Gott segne unsere Omas!

Als sich bereits der Grafiker an die Arbeit machte, um das Buch zu formatieren, startete ich wieder eine riesige Backaktion und testetet schnell noch alle 100 Rezepte. Meine 45-m²-Eigentumswohnung war übersät von Muffins in allen Geschmacksrichtungen: Pizza-Muffins, Birnen-Streusel-Muffins, Apfel-Zimt-Muffins … Ich wusste gar nicht wohin mit all den Muffins. Meine Eltern erbarmten sich über den Muffinsegen. Als mein Vater nach etwas Essbarem im Kühlschrank suchte, öffnete er eine Plastikschüssel mit Muffins, dann die nächste … diese enthielt auch nur Muffins. Er bekam beinahe einen Muffin-Anfall. Soweit das Auge blickte … lauter Muffins.

Ein Institut hatte mich gefragt, ob der Buchtitel nicht schon bereits existiere und bot mir die Prüfung dafür an. Ich erklärte ihnen, dass das nie sein kann, weil es bisher noch kein deutsches Muffinbackbuch gibt. Das hatten sie verstanden.

Im Dezember 1995 ging das erste deutsche Muffinbackbuch Jutta’s Muffins in Druck. Aus Zeitgründen hatte ich die Maßeinheiten nur in Tassen angegeben, so wie es in den USA üblich ist. In der 2. Auflage fügte ich dann die Gramm-Angaben hinzu, denn die Anzahl der Anrufe bei der Muffin-Hotline häuften sich mit der Frage: „Wie groß ist denn eine Tasse?“